Cover
Titel
Agon, logos, polis. The Greek Achievement and its Aftermath


Herausgeber
Arnason, Johann P.; Peter Murphy
Erschienen
Stuttgart 2001: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
DM 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Spahn, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Der vorliegende Sammelband mit zehn Aufsaetzen geht zum groesseren Teil zurueck auf eine Tagung an der Ohio State University im Jahre 1997 "Agon: A Conference on the Common Place, Tragic Fate, Contemporary Return and Democratic Future of the Classical". Die Beitraege stammen vor allem von Althistorikern und Sozialwissenschaftlern und behandeln auf die eine oder andere Weise die weltgeschichtliche Leistung der alten Griechen und deren Nachwirken bis in unsere Zeit. Vier namhafte Autoren - Christian Meier, Jean-Pierre Vernant, Pierre Vidal-Naquet und Cornelius Castoriadis - steuern die englischen Uebersetzungen frueherer Arbeiten bei. Als gemeinsamer Nenner der im uebrigen sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansaetze der Autoren laesst sich die Polaritaet von Einzigartigkeit und Universalitaet der Griechen feststellen. Es geht ihnen nicht um eine Wiederbelebung der Klassizitaet des Griechentums. Denn die griechische Kultur war Ergebnis einer zuvor nie dagewesenen und unwiederholbaren historischen Konstellation. Und die institutionellen und kulturellen Erfindungen der Griechen eroeffneten zwar fuer die spaeteren - und wohl bis heute - neue Denkhorizonte, ohne jedoch ein starres und klar definiertes Modell darzustellen.

Die zentrale Bedeutung des Politischen bei den Griechen ist das wichtigste gemeinsame Thema der meisten Arbeiten dieses Bandes. Christian Meiers Essay ueber "Die Griechen: die politische Revolution der Weltgeschichte" (S. 56-71; auf deutsch zuerst in: Saeculum 33, 1982, S. 133-147) ist daher fuer die Herausgeber die Quintessenz der Problematik ihres Buches. Die bedeutendste und folgenreichste Innovation der Griechen ist nach Meier die Entstehung bzw. Entdeckung des Politischen. Dieser primaer intellektuelle Vorgang habe zu einem Begriff gleicher politischer Rechte, der "isonomia" gefuehrt, die den welthistorischen Wendepunkt ausmache. Damit habe die politische Ordnung - in Athen um 500 v. Chr. mit der kleisthenischen Reform - eine besondere Kuenstlichkeit erreicht und eine Unabhaengigkeit von sozialen Bedingungen. Dies sei die entscheidende Voraussetzung fuer die kulturelle Entfaltung im 5. und 4. Jahrhundert und fuer jede folgende "legacy of Greece" geworden.

Ausgehend von Meiers Ueberlegungen verfolgt Kurt A. Raaflaub (S. 72-126: "Political Thought, Civic Responsibility, and the Greek Polis") drei Phasen in der Geschichte der politischen Denkens der Griechen: Seine fruehesten Spuren in den homerischen Epen, wo das Konzept der "civic responsibility" zuerst entdeckt worden sei; seine Bedeutung fuer die solonischen Reformen, in denen eine solche buergerliche Verantwortung habe realisiert werden koennen; schliesslich seine Rolle in der Krise der Demokratie im spaeten 5. Jahrhundert.

Ein Abschnitt aus dem Werk von Jean-Pierre Vernant (S. 118-126: "Forms of Belief and Rationality in Greece") zeigt einen anderen Aspekt der griechischen Besonderheit: Unter den Bedingungen der Polisgesellschaften traten (polytheistische) Glaubensvorstellungen nicht in einen polaren Gegensatz zu Formen der Rationalitaet. Statt Priester als Glaubenswaechter gab es Epen- und Tragoediendichter und danach Philosophen. - Auch Pierre Vidal-Naquet betont den Primat des Politischen mit seiner engen Identifizierung des Menschen mit dem Buerger und strikten Unterscheidungen zwischen dem Menschlichen, dem Goettlichen und dem Animalischen (S. 127-137: "Beasts, Humans and Gods: The Greek View"). Aber es habe auch Gegenpositionen gegeben, etwa die Orphik, die Pythagoreer und die Kyniker.

Wandlungen des Menschenbildes in der Tragoedie untersucht Cornelius Castoriadis in der Gegenueberstellung von Aischylos’ "Gefesseltem Prometheus" und Sophokles’ "Antigone" (S. 138-154). Innerhalb eines Vierteljahrhunderts habe sich hier die Vorstellung einer goettlichen Erschaffung des Menschen fundamental veraendert zur Idee einer Selbsterschaffung des Menschen, naemlich durch sein eigenes Handeln, Hervorbringen und Belehren.

Neben diesen althistorischen Arbeiten stehen theoriegeschichtliche und sozialwissenschaftliche: Johann P. Arnason (S. 155-206: "Autonomy and Axiality: comparative Perspektives on the Greek Breakthrough") diskutiert das Autonomie-Konzept von Castoriadis und das der Achsenzeit nach S. N. Eisenstadt mit dem Ergebnis, dass beide den Besonderheiten des "Durchbruchs" der Griechen nicht ganz adaequat sind. - P. Murphy (S. 207-232: "Architectonics") eroertert den Einfluss griechischer Konzepte der Stadtplanung, zumal das einer "kosmopolis", auf entsprechende moderne Projekte. - V. Lambropoulos (S. 233-255: "On the Notion of the Tragedy of Culture") behandelt den Bezug auf die Tragoedie als einer Kategorie der modernen Kulturtheorie, insbesondere bei Simmel, der wiederum von Hegel ausgeht. - Louis A. Ruprecht (S. 29-55: "Why the Greeks?") verfolgt die Geschichte der "Hellenic revivals" von der Antike, also von Alexandrien, Rom und Konstantinopel, bis ins 19. und 20. Jahrhundert, und zwar in der Architektur, Politik und Literatur.

Die ausdrueckliche Botschaft eines immer noch moeglichen und noetigen Humanismus enthaelt allein der Essay von Oswyn Murray (S. 15-28: "Gnosis and Tradition"), der ein kritisches, ja subversives Potential des klassischen Erbes in der heutigen materialistischen Konsumwelt behauptet.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension